Pierre de la Brique
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Die einen flirten, die anderen fahren mit Süßigkeiten auf, andere wiederum sind so sexy gestylt, dass man meinen könnte, sie stehen für das Berghain an. Herzlich willkommen auf dem Berliner Wohnungsmarkt.
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Keiner weis wie es weitergeht und warum nicht. Alles ist immer neu, unverständlich und offensichtlich unlösbar.
Prolog: Herzlichen Dank SPD, wegen dir habe ich die Stadt als ganz großen Abenteuerspielplatz erlebt. Berlin wohnungslos aber sexy. Wir wurden letztens Opfer deines genial-dilettantischen Mietendeckels und der als übergeordnete Hilfslösung angepriesenen Mietpreisbremse. Beides gigantische Rohrkrepierer und jetzt vor den Opfern von euch gerne totgeschwiegen. Aber schön langsam und im Einzelnen, damit es auch die in sich gekehrten Parteiprogrammtheoretiker kapieren.
Mietendeckel: Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln), der sog. Mietendeckel, ist am 23.02.2020 in Kraft getreten. Das Gesetz ist gültig und einzuhalten. Die Miete ist ab dem 23.11.2020 abzusenken. Wunderbar, solche Geschenke erhält man selten. Mögliche Absenkung 262,86 €.
Die zweite Seite der Medaille
Die zweite Seite der Medaille wurde sehr schnell sichtbar. Der Vermieter wollte uns partout einreden der Wohnungszugang wäre stufenlos, dabei saßen ständig irgendwelche Penner auf den fünf Stufen; auch meinte er, wir hätten einen schwellenlosen Aufzug bis in die Wohnung und es gäbe eine hochwertige Sanitärausstattung (mit Wanne), wovon wir immer träumten. Das bedeutete, die nicht vorhandenen wohnwerterhöhenden Merkmale wurden nicht diskussionslos akzeptiert. Letztendlich gab er sich dem Schicksal hin.
Mietendeckel gekippt und für nichtig erklärt
Bis am 15.04.2021 um 11:35 Uhr das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel für nichtig erklärt. Neun von zehn Mieten wurden durch den Mietendeckel eingefroren. Am nächsten Tag lag der Brief über die Nachforderung im Kasten.
Der Mietpreisspiegel soll das Debakel abwenden
SPD-schlau wurde mit dem Mietpreisspiegel zurückgewunken, was nicht lange gut ging und mit Eigenbedarf beantwortet wurde. Jetzt hatte die SPD auch keine Lösung mehr, sie verwiesen auf 2025, wenn sie dann noch die Mehrheit irgendwo beeinflussen könnten. Mit seinem Räumungsbeschluss war das Amtsgericht schneller.
Mit Gucci-Micky-Tanten zur Wohnungsbesichtigung
Kein Problem unkte unser Nachwuchs und somit hatten wir eine neue Beschäftigung. Angebote gab's genug und mit Enthusiasmus geht's zu den Besichtigungen. Mit gefühlt 300 Mitbesichtigern rein in die guten Stuben zum Konkurrenzkampf.
Die Geilste finde ich so eine Schicki-Micki-Grunewald-Tante. Sie trägt Louboutins (sauunbequem und sauhoch), logischerweise eine Birkin-Tasche und so einen beigen Trenchcoat mit einer eingestickten Fliege von was weiß ich was für einer Luxusmarke, CD oder so. Ihr Haar ist logischerweise lang, blond gesträhnt, ihre Lippen rot, ihre Haut faltig. Gut möglich, dass sie in jungen Jahren zu viel Zeit an der Sonne, mit zu wenig Sonnenschutz verbracht hat.
Nennen wir sie Maren.
Maren ist mit ihrem Mann da. Wahrscheinlich ein Chefchirurg. Oder CEO von irgendwas, das ich nicht kenne. Oder CFO, COO, CTO, CIO, CSO, CMO, oder wie all die wichtigen Positionen halt so heißen. Maren und ihr Mann sind, logisch, mit ihrem overstylten Porsche Cayenne da. Sie haben den Styleschlitten direkt gut sichtbar für alle vor dem Eingang geparkt.
Während sich Marens Mann ganz genau umschaut, lässt Maren die Wimpern klimpern. Sie tänzelt um den Mittfünfziger Immobilienmakler herum, der heute hier ist, um uns das Loft zu zeigen, in dem wir stehen. 140 Quadratmeter Luxus. Inklusive Terrasse, Dusche, Badewanne, Induktionsherd, Mikrowelle, Steamer, Pipapo halt.
Halterlose Strümpfe sind mit tätowierter Freundin da
Maren lobt den Mittfünziger für seine Frisur. Und seine Hände. Dann fällt ihr der Cayenne-Schlüssel aus der Tasche. Maren bückt sich so, dass der Mittfünfziger freie Sicht auf ihren Hintern hat, der in einer Lederleggings steckt.
Vielleicht würde der Makler ja sogar darauf anspringen, wäre er nicht so busy. Da ist eine andere Frau, die den Kerl verführen will. Sie hat ihm selbst gemachte Cookies mitgebracht, mit Fleur de Sel. Der Begleiter der Cookie-Dame hat nebenbei einen «super Tropfen aus der Toskana» dabei. «Im nächsten Leben solltest du auch Immo-Heini werden», flüstert mir meine Frau ins Ohr. Milf-Hunter, meinst du, sage ich. Wir lachen. Während Tanja das Loft unter die Lupe nimmt, komme ich nicht vom Fleck. Zu gut ist das Szenario rund um die Typen. Jetzt ist noch so eine Partybraut eingefahren. Zum kurzen Lederjupe-Faltenrock kombiniert sie halterlose Strümpfe. Die sie notabene immer wieder total zufällig hervorblitzen lässt, wenn der Vermittler hinschaut. Die halterlosen Strümpfe sind mit einer Hardcore tätowierten Freundin da. Sie setzt auf bauchfrei. Beide wollen gemeinsam einziehen. «Wissen Sie», hauchen die halterlosen Strümpfe in Richtung Mittfünfziger, «wir sind ein offenes Paar, wenn Sie wissen, was wir meinen.»
Ich weiß es nicht und will sehr gerne nachfragen.
Bevor ich aber irgendwie agieren kann, zieht mich Tanja ins Bad. «Du starrst», sagt sie. Weiß ich, antworte ich. Ob sie hier wohnen will, frage ich. Nein, sagt sie. Nein, sage ich. Ist zwar riesig und geil, mehr so eine Ausstellungshalle mit null Rückzugsmöglichkeiten. Bevor wir gehen, werfe ich noch einen Blick in die Küche. Der arme Wohnungsvermittler muss jetzt vier Damen jonglieren. Ich frag’ mich, ob wir hier an einer Wohnungsbesichtigung, einem Gangbang oder in der Rocky Horror Picture Show sind?
Im Nerz mit dezent roten Lippen.
Ein paar Tage später schauen wir uns eine andere potenzielle Wohnung an. Auch im eher gefragten In-Bezirk. Dieses Mal hat meine Frau löchrige Leggings, Boots und Hoodie gegen enge Jeans und Pumps getauscht. Übergeworfen hat sie noch ihren alten Nerz. Ihre Lippen sind dezent rot. Und auch ich habe Jogginghose und Rucksack gegen Jeans und ein, ich muss immer noch lachen, Anzug-Jacket getauscht. Wir sind nicht die Ersten, die da sind. Mein Blick fällt aber auf ein durchsichtiges Täschchen mit Cookies drin. Madame Fleur de Sel ist also auch da. Sie ist nicht das einzig bekannte Gesicht. Maren und ihr CEO/Chirurg/CFO sind ebenfalls anwesend! Maren trägt 1:1 das gleiche Outfit. Dieses Mal bringt das aber alles nichts.
Tanja findet Maren scheiße.
Es ist eine Frau, die uns die Wohnung zeigt. Als sie mich sieht, druckst sie etwas rum. «Oh, hallo», sagt sie. «Hallöchen ...», sage ich. Ich habe keine Ahnung, wie sie heißt. Und auch sie scheint meinen Namen vergessen zu haben. «Tanja», sagt Tanja und streck ihr ihre Hand hin. «Sehr coole Wohnung», versucht sie die etwas angespannte Situation zu entspannen. «Ja, hihi …», sagt sie. Bevor ich was fragen kann, ist Maren da. «Super tolle Jeans, die Sie tragen», sagt sie zu der Wohnungszeigerin. «Sitzt perfekt. Aber wissen Sie, wenn man so jung und knackig ist wie Sie, kann man alles tragen!?» Wieder zieht mich Tanja weg. «Du hast die gevögelt, stimmts?», sagt sie und lacht laut. «Ja», sage ich. Irgendwo nach einer Houseparty mal, vor Jahren, in Gedanken. Sei ganz schlechter Sex gewesen.
End of Wohntraum.
End of Story. Und End of Wohntraum. Ich glaube, wir müssen in ganz anderen Teichen fischen. Mehr Storytelling und so, über Bekannte, die Bekannte haben, die wissen, wo was frei wird, mit Einzelbesichtigung und so. Auf die SPD können wir nicht mehr setzen. Die aktuellen Posten sind alle vergeben und die Funktionäre verstecken sich jetzt, wenn man sie was fragen will. Ich glaube, sie ahnen ihre prinzipielle Ahnungslosigkeit.